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30. März 2020

Die Wettbewerbsbehörden in Europa und der ganzen Welt bemühen sich um die Klärung der zulässigen Zusammenarbeit als Reaktion auf die COVID-19-Krise

Coronavirus: Antitrust/Competition Advisory

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Einführung

Letze Woche wurde bekannt, wie die Wettbewerbsbehörden in Europa, den USA und Australien auf die wachsende Nachfrage der Unternehmen nach Leitlinien für eine kartellrechtskonforme Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern reagieren, die versuchen, den Herausforderungen der COVID-19-Epidemie zu begegnen. Die neuen Leitlinien der Behörden sind insbesondere für Lebensmittel- und Getränkelieferanten relevant, die bei der Aufrechterhaltung der Liefer- und Vertriebsketten vor immensen Herausforderungen stehen. Dies gilt auch für den pharmazeutischen Sektor, wo Unternehmen mit Hochdruck Impfstoffe, Tests und Therapien entwickeln, und für diejenigen, die medizinische Geräte herstellen und vertreiben. Die Regierungen aller Länder haben die Unternehmen aufgefordert, die Produktion von lebenswichtigen Produkten hochzufahren, die nun dringend benötigt werden.

Das Kartellrecht schränkt im Allgemeinen Vereinbarungen zur Koordination, zum Informationsaustausch und zur Optimierung der Lieferkette zwischen Wettbewerbern ein. Eine echte Krise wie COVID-19 schafft jedoch eindeutig die Notwendigkeit, einen solchen Austausch und solche Vereinbarungen ggf. zuzulassen und evt. auch zu fördern. Ungeachtet der Angemessenheit dieses Ansatzes haben Unternehmen in Branchen, die zuvor erhebliche regulatorische Aufmerksamkeit erhalten haben, mehr Klarheit und Flexibilität in Bezug auf das Ausmaß gesucht, in dem sie sich in dieser Stunde der Not auf ein solches Verhalten einlassen können.

Am 23. März 2020 gab das European Competition Network (ECN) - das Netzwerk, das die Europäische Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden der EU umfasst - eine gemeinsame Erklärung zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts während der Corona-Krise heraus.  Am 25. März 2020 folgte eine Stellungnahme der britischen Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA), in der frühere, eher informelle Mitteilungen der CMA und der britischen Regierung zusammengefasst wurden. Auch die deutsche Regierung und das deutsche Bundeskartellamt haben erklärt, dass sie ihre Gesetze während der Krise flexibel anwenden werden. Außerhalb Europas haben die US-Kartellbehörden ein Schnellverfahren zur Überprüfung der geplanten Zusammenarbeit eingeführt, und die australische Wettbewerbsbehörde ACCC hat zwei vorläufige Genehmigungen erteilt: eine für Medizintechnikunternehmen und eine für Supermärkte.

Das European Competition Network

Das ECN wurde als Forum für die Diskussion und Zusammenarbeit zwischen den europäischen Wettbewerbsbehörden eingerichtet, um eine effiziente Arbeitsteilung und eine effektive und konsistente Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln zu gewährleisten. Die Europäische Kommission und die Wettbewerbsbehörden der 27 EU-Mitgliedstaaten arbeiten über das ECN zusammen, indem sie sich gegenseitig über neue Fälle und geplante Entscheidungen informieren, Ermittlungen koordinieren, wenn nötig, sich gegenseitig bei Untersuchungen unterstützen, Beweise und andere Informationen austauschen und verschiedene Fragen von gemeinsamem Interesse erörtern.

Gemeinsame Erklärung des ECN

Als Reaktion auf die COVID-19-Krise in Europa gaben die Mitglieder des ECN die folgende gemeinsame Erklärung ab:

  • Das ECN ist sich der beispiellosen sozialen und wirtschaftlichen Folgen des COVID-19-Ausbruchs in der Europäischen Union/Europäischer Wirtschaftsraum (EU/EWR) voll bewusst.
  • Die verschiedenen Wettbewerbsinstrumente der EU/EWR verfügen über Mechanismen, um Markt- und Wirtschaftsentwicklungen angemessen zu berücksichtigen, sofern dies notwendig ist. Die Wettbewerbsregeln gewährleisten gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen. Dieses Ziel bleibt auch in einer Zeit relevant, in der Unternehmen und die Wirtschaft insgesamt unter Krisenbedingungen leiden.
  • Das ECN ist sich bewusst, dass diese außerordentliche Situation die Unternehmen zur Zusammenarbeit veranlassen kann, um die Versorgung und die faire Verteilung knapper Produkte an alle Verbraucher zu gewährleisten. Unter den gegenwärtigen Umständen werde die Behörden des ECN nicht aktiv gegen notwendige und vorübergehende Maßnahmen vorgehen, die zur Vermeidung eines Versorgungsengpasses eingeführt wurden.
  • Unter den gegenwärtigen Umständen ist es unwahrscheinlich, dass solche Maßnahmen problematisch sind, da sie entweder keine Wettbewerbsbeschränkung nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)/53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) darstellen oder Effizienzgewinne erzeugen würden, die höchstwahrscheinlich eine solche Beschränkung überwiegen würden. Wenn Unternehmen Zweifel an der Vereinbarkeit solcher Kooperationsinitiativen mit dem EU/EWR-Wettbewerbsrecht haben, können sie sich jederzeit an die Kommission, die Überwachungsbehörde der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) oder die betreffende nationale Wettbewerbsbehörde wenden, um sich informell beraten zu lassen.
  • Gleichzeitig muss unbedingt sichergestellt werden, dass Produkte, die in der gegenwärtigen Situation zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher als wesentlich angesehen werden (z.B. Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel), weiterhin zu wettbewerbsfähigen Preisen erhältlich sind. Das ECN wird daher nicht zögern, gegen Unternehmen vorzugehen, die die derzeitige Situation durch Kartellbildung oder Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung ausnutzen.
  • In diesem Zusammenhang möchte das ECN darauf hinweisen, dass die bestehenden Regeln es den Herstellern erlauben, Höchstpreise für ihre Produkte festzulegen. Letzteres könnte sich als nützlich erweisen, um ungerechtfertigte Preiserhöhungen auf der Vertriebsebene zu begrenzen.

Deutschland

Die deutsche Regierung und das Bundeskartellamt sind bereit, einige Wettbewerbsbeschränkungen vorübergehend zuzulassen, um mögliche Versorgungsengpässe zu vermeiden, ohne die Kartellgesetze zu ändern. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, versicherte der Deutschen Presse-Agentur und anderen deutschen Medien, dass es keine Notwendigkeit für kartellrechtliche Notfallregelungen zur Anpassung der Wettbewerbsregeln gibt, da das Bundeskartellamt und andere Behörden bereits über die Instrumente verfügen, um flexible temporäre Maßnahmen zur Bewältigung der Coronavirus-Krise zu ergreifen: "Das Kartellrecht erlaubt weitgehende Kooperationen zwischen Unternehmen, wenn es dafür – wie in der aktuellen Situation – gute Gründe gibt“, sage Mundt der deutschen Presse. Er wies auch darauf hin, dass das Bundeskartellamt jederzeit für Gespräche mit Unternehmen, Verbänden und politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung steht, um auf bestimmte Bedürfnisse und Flexibilität einzugehen.

Um der Sorge zu begegnen, dass Lieferketten unterbrochen werden könnten, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angedeutet, dass die Regierung auf eine Lockerung der kartellrechtlichen Vorschriften hinarbeiten werde, damit beispielsweise Einzelhandelsketten leichter kooperieren können.

Das Vereinigte Königreich

Nach früheren informellen Stellungnahmen zur Regierungspolitik hat die CMA am 25. März 2020 formelle Leitlinien herausgegeben, in denen sie darlegt, wie sie die Zusammenarbeit der Unternehmen als Reaktion auf COVID-19 sehen wird. Ähnlich wie das ECN wird die CMA keine Durchsetzungsmaßnahmen ergreifen, wenn eine vorübergehende Zusammenarbeit zwischen Unternehmen stattfindet, die:

  • angemessen und notwendig ist, um eine Versorgungslücke zu vermeiden oder die Versorgungssicherheit zu gewährleisten;
  • eindeutig im öffentlichen Interesse ist;
  • zum Nutzen oder Wohlbefinden der Verbraucher beiträgt;
  • sich mit kritischen Fragen befasst, die sich aus der COVID-19-Pandemie ergeben; und
  • nicht länger dauert, als für die Behandlung dieser kritischen Fragen notwendig ist.

Im Allgemeinen wird die Behörde CMA jede Zusammenarbeit zwischen Unternehmen gegen den Nutzen abwägen, den eine solche Zusammenarbeit für die Verbraucher mit sich bringt. Die CMA warnte jedoch davor, ihre Leitlinien als "Freifahrtschein" für Unternehmen zu interpretieren, die ein für die Verbraucher schädliches Verhalten an den Tag legen könnten. Insbesondere besteht die CMA darauf, dass die Preise für wesentliche Produkte wie Masken und Desinfektionsmittel in der gegenwärtigen Situation nicht künstlich aufgebläht werden. Zu diesem Zweck richtete die CMA am 20. März 2020 einen offenen Brief speziell an die pharmazeutische Industrie sowie die Lebensmittel- und Getränkeindustrie, in dem sie ihre Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbefugnisse zur Bekämpfung problematischer Verhaltensweisen bekräftigte. Wie das ECN hat auch die CMA die Unternehmen daran erinnert, dass die bestehenden Vorschriften den Herstellern die Möglichkeit geben, Höchstpreise festzulegen und damit Preisabsprachen zu verhindern.

Die CMA liefert auch weitere Hinweise, wie sie die Freistellung vom Kartellverbot nach Section 9 Competition Act 1998 in der gegenwärtigen Situation anwenden wird. Um in den Genuss der Freistellung zu kommen, muss die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen vier Kriterien erfüllen:

  • Sie muss zur Verbesserung der Produktion oder Verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen;
  • sie muss den Verbrauchern einen angemessenen Anteil an dem daraus resultierenden Nutzen gewähren;
  • sie darf nur Beschränkungen auferlegen, die für die Ziele dieser Zusammenarbeit unerlässlich sind (z.B. die Versorgung der gefährdeten Personen oder die Entwicklung einer Therapie); und
  • sie darf den Unternehmen nicht die Möglichkeit bieten, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Produkte oder Dienstleistungen auszuschalten.

Im Allgemeinen wird die CMA wahrscheinlich eine Zusammenarbeit als zulässig erachten, wenn sie dazu beiträgt:

  • einen Versorgungsengpass zu vermeiden oder die Versorgungssicherheit zu gewährleisten;
  • eine faire Verteilung der knappen Produkte zu gewährleisten;
  • wesentliche Dienste fortzusetzen; oder
  • neue Dienstleistungen wie die Lieferung von Lebensmitteln an schutzbedürftige Verbraucher anzubieten.

Eine solche Zusammenarbeit kann jedoch nicht weiter gehen, als dies vernünftigerweise zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.

Die U.S. Kartellbehörden

In Anlehnung an den Ansatz des ECN gaben die U.S. Federal Trade Commission (FTC) und die Kartellabteilung des US-Justizministeriums (DOJ) am 24. März 2020 eine gemeinsame Erklärung heraus, in der ein beschleunigtes Kartellprüfungsverfahren skizziert und eine Anleitung für Unternehmen gegeben wurde, die bei Projekten zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Amerikaner während der COVID-19-Pandemie zusammenarbeiten wollen (weitere Informationen finden Sie in unserem Advisory vom 27. März 2020).

Australien

Die australische Wettbewerbs- und Verbraucherkommission (ACCC) erteilte eine vorläufige Genehmigung, die es Medizintechnikunternehmen ermöglicht, die Lieferung und mögliche Herstellung von Beatmungsgeräten, Testsätzen, persönlicher Schutzausrüstung und anderer medizinischer Ausrüstung, die für die COVID-19-Pandemie benötigt wird, zu koordinieren. Insbesondere ermöglicht dies Lieferanten oder Vertreibern von medizinischer Ausrüstung, Informationen auszutauschen, Bestellungen und Lieferanfragen zu koordinieren, Anfragen zu priorisieren und gemeinsam Angebote für die Lieferung von medizinischer Ausrüstung abzugeben.

Anfang letzter Woche erteilte das ACCC eine ähnliche Genehmigung, die es Supermarktbetreibern ermöglicht, sich bei der Zusammenarbeit mit Herstellern, Lieferanten sowie Transport- und Logistikanbietern zu koordinieren, um die Versorgung und die faire und gerechte Verteilung von Lebensmitteln und anderen Haushaltsgegenständen an australische Verbraucher sicherzustellen, einschließlich derer, die gefährdet sind oder in ländlichen und abgelegenen Gebieten leben.

Schlussfolgerung

Während die Botschaft weltweit klar ist, dass Unternehmen dort zusammenarbeiten können, wo dies für die Reaktion auf die Pandemie unerlässlich ist, ist es ebenso klar, dass die Behörden eine solche Zusammenarbeit nur dann zulassen, wenn dies zur Erreichung wettbewerbsfördernder Ziele notwendig ist. Die Kartellbehörden haben erneut bekräftigt, dass sie Fälle verfolgen werden, in denen die Pandemie als Entschuldigung oder als Deckmantel für umfassendere kartellrechtswidrige Vereinbarungen genutzt wird.

Die Behörden bekräftigen auch ihre anhaltende Wachsamkeit und geplanten Aktivitäten gegen ungemessen hohe Preise. Dies ist ein komplexer Bereich, da Preiserhöhungen in der Regel eine normale Marktreaktion auf Knappheit widerspiegeln, die den Markteintritt oder die Expansion erleichtern wird. Insbesondere die Kartellbehörden in Europa zeigten schon vor der Pandemie eine größere Bereitschaft, ihre Befugnisse wegen Marktmachtmissbrauchs gegen unangemessene Preiserhöhungen einzusetzen. Es wäre nicht überraschend, wenn auch in Zukunft in diesem Bereich mehr Verfahren eröffnet und Maßnahmen ergriffen würden.

Zu gegebener Zeit, wenn der Notstand vorbei ist, werden die Kartellbehörden sicherlich - auf eigene Initiative oder aufgrund von Beschwerden betroffener Geschäftspartner, Wettbewerber oder Kunden - koordiniertes Verhalten, das sie zuvor nicht untersucht haben, kartellrechtlich bewerten. Unternehmen müssen daher bei ihren Geschäftsentscheidungen mit großer Sorgfalt vorgehen. Übermäßige Zusammenarbeit und ein durch die Krise bedingter engerer Austausch sensibler Informationen sollten von Kartellrechtsexperten begleitet und überprüft und im Zweifelsfall auch mit den zuständigen Kartellbehörden abgestimmt werden.

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